Roboter Recruiting. Oder: Matching ist nicht gleich Matching. Wie läuft das bei Textkernel?

Als mich Ende letzten Jahres das t3n-Magazin um eine Einschätzung bat, was denn aus meiner Sicht der Mega-Trend für 2016 im HR sei, fiel meine Antwort sehr schnell sehr eindeutig aus: Matching.

Matching_jetzt_Zukunft

Auch wenn sich aktuell viel um das Thema Candidate Experience dreht – ich gebe zu, wir haben ja selber 2015 zum “Jahr der Kandidaten!?” ausgerufen und so unseren Beitrag dazu geleistet – würde ich Matching als trendendes Thema doch noch davor einsortieren. Ich habe daher im Februar eine Artikelserie zum Thema Matching gestartet mit der Zielsetzung, die aus meiner Sicht beeindruckende Entwicklung in diesem Bereich ein wenig zu sortieren, dem ganzen Thema auch so etwas wie eine theoretische Struktur zu verpassen und vor allem auch die vielen (neuen und gestandenden) Player in diesem Bereich sukzessive einmal vorzustellen.

Insbesondere hierbei habe ich – sehr erfreulich – inzwischen auch sehr tatkräftige Unterstützung aus der HR-Bloggerszene, wie mir die jüngsten Beiträge z.B. von Jörg Buckmann über das “Matching-Startup” YOOTURE oder Stefan Scheller über Skjills zeigen.

Über die letzten Monate sind nun bereits sechs Beiträge in der Artikelreihe entstanden (diese sind am Ende des ersten Teils der Serie alle verlinkt) und inzwischen sind wir bei den technologisch etwas dickeren Brettern angekommen. Denn: Matching hat in vielen Fällen eine inzwischen sehr wissenschaftliche Komponente und viel mit Daten und lernenden Algorithmen zu tun. Das dürfte – neben Matching durch Erleben und Kennenlernen sowie Matching durch (Eignungs-)Diagnostik – wahrscheinlich die dritte starke Strömung innerhalb dieses Themenbereichs sein. Und spätestens an dieser Stelle verschwindet das Thema Matching für viele auch irgendwie in der “Big-Data-Blackbox” und hinter dem zuweilen recht undifferenzierten Schlagwort des “Roboter-Recruitings“.

Dabei schwingt dann immer nicht nur eine gewisse Portion Skepsis (“wie soll das eine Maschine können?”), zuweilen Angst (“übernimmt die Maschine etwa meinen Job…!?”), vor allem aber Unkenntnis mit. Wie das bei Blackboxes eben oft so der Fall ist, kann man von Außen schlecht hineinsehen und versteht daher oft nicht, was darin passiert.

sandra-petschar-foto.256x256Wir haben uns deshalb – neben der Artikelserie hier – das Thema Matching und Big Data auch als eines der Schwerpunktthemen der HR-Edge in zwei Wochen (leider ausverkauft…) vorgenommen. Dort wird dann mit Sandra Petschar eine echte Expertin zu diesem Thema einen Spotlight-Vortrag halten, vor allem aber den Anwesenden Rede und Antwort stehen. Sandra arbeitet seit 2 Jahren bei Textkernel, einem der wahrscheinlich technologisch führenden Unternehmen, wenn es um die Frage des automatisierten Matchings auf Basis semantischer bzw. ontologischer Algorithmen geht.

Ich habe mir Sandra daher gleich mal zum Interview geschnappt. Wäre doch gelacht, wenn wir da nicht ein wenig Licht in die Blackbox bekämen…

Also, los geht´s!

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Hi Sandra, wie du weißt, ist Matching ja eines der absoluten Schwerpunktthemen im Recrutainment Blog. Ich würde dir gern die Eingangsfrage stellen, was “Matching” für dich eigentlich ist, denn es verstehen viele ja sehr vieles darunter…

Ja, das stimmt Matching ist ja nicht gleich Matching. Das Wort wird für viele verschiedenen Anwendungen und Tools verwendet. Zum Beispiel wenn Kategorien verglichen werden oder nach einem Fragebogen ein passendes Ergebnis angezeigt wird. Der Account Manager wird dann einfach mit einem Account Manager Job “gemacht”. Das ist für uns kein “intelligentes” Matching und auch nicht, was Textkernel darunter versteht. Matching muss viel mehr begreifen, was wirklich in den Rohtexten steht und anhand von Semantik und Verständnis der Begriffe und Sätze erkennen, was wirklich zueinander passt. Im HR Bereich geht es daher darum Angebot und Nachfrage zu verknüpfen und passende Bewerber für einen Job zu finden oder andersrum den perfekten Job für einen Kandidaten.

Matching_Matching

Wo genau in der ganzen Thematik “Matching” ist Textkernel verortet? Was genau ist Euer Fokus?

Textkernels Fokus liegt darin zuallererst unstrukturierte Dokumente (also im Recruiting CVs und Jobbeschreibungen) zu verstehen und anschließend mitsamt Semantik und HR-Wissen, die beiden Teile am Arbeitsmarkt miteinander zu verbinden. Wichtig ist hierbei auch zu wissen, was typische Karrierewege sind, z.B. sollte man einen Promovend nicht nochmals eine Doktoratsstelle vorschlagen oder einem Junior Marketing Manager keine weitere Junior Position. Das Matching muss anschließend auch vom User lernen. Wir haben in einem laufenden Projekt mit tausenden CVs und Jobs die Recruiterentscheidungen miteinbezogen, also wurde der Kandidaten eingeladen, eingestellt oder wurde ihm oder ihr gleich abgesagt. Anhang dieser vielen Beispielen kann die “Matching-Maschine” lernen, welche Ergebnisse sinnvoll sind und was ein intelligentes Resultat sein könnte.

Das heißt, Ihr tretet nicht selber als, sagen wir mal, “Anbieter des Matchings” auf? Also, man geht nicht auf textkernel.de und dort finden dann Arbeitgeber und Arbeitnehmer zusammen, sondern Ihr seid eher der Technologieanbieter, der die Tools baut, die andere in ihre Plattformen dann integrieren. Kann man das so sagen?

Ja, genau. Es gibt ja zahlreiche Matchinglösungen von Jobbörsen oder auch gute Tools, wie von truffls. Das wäre jedoch in diesem Sinne keine Konkurrenz, sondern vielmehr unsere potenziellen Kunden. Unsere Matchingengine ist sozusagen die darunter liegende Maschine, die kundenspezifisch angepasst und “eingestellt” werden kann und in den verschiedensten Arbeitsprozessen Anwednung findet. Wir matchen hierbei nicht Kandidaten und Jobs, wie eine Jobbörse, sondern liefern vielmehr eine Software, die unseren Kunden die Möglichkeit bietet, Kandidaten mit Jobs zu matchen, Jobs mit Kandidaten und dies mit deren eigenen Kriterien und Kategorien. Unsere Kunden können selbst Input geben und eigene wichtige Faktoren dazu nehmen. Daher ist eine Matching-Integration auch keine out-of-the-box Lösung, sondern mit einem Projekt mit einem Lernprozess (z.B. berichtet Manpower in diesem Artikel, wie der Prozess ausgesehen hat). Der Kunde muss dabei genau verstehen und uns mitteilen, welche Faktoren wichtig sind und wie das Ranking “eingestellt” werden soll. Zum Beispiel ist es im handwerklichen Bereich sicherlich wichtig, dass der Wohnort des Bewerbers ein “must-have” Kriterium ist. Ein Mechaniker wird für einen Job nicht die Stadt wechseln und sollte deshalb auch nur bei Jobs in der Nähe vorgeschlagen werden. Einem Absolventen kann man vielleicht auch bundesweit Jobs vorschlagen, sollte dabei jedoch nicht auf seinen letzten Jobtitel achten, der eventuell “Absolvent” oder “Praktikant” ist.

Für viele ist Matching, insb. wenn es auf Algorithmen basiert, irgendwie eine Blackbox. Die Maschine kommt irgendwie zu einem Ergebnis, aber man kann “von Außen” eigentlich nicht mehr nachvollziehen wie. Erklär mal, wie funktioniert das genau? Welche Daten fließen ein, wie werden diese Signale verarbeitet und interpretiert und was kann man dann damit anfangen? Und: woher kommen die Daten überhaupt?

Software in diesem Bereich kann niemals zu 100% korrekt sein, bietet man eine Blackbox an, wird nicht mal sichtbar, warum Fehler auftreten. Svenja Hofert hat zum Thema Roboter Recruiting geschrieben, dass HR “Ehrlichkeit, Offenheit, Transparenz und Fairness” erwartet und genau das liefert unser Matching auch. Unsere Matchingengine lernt anhand von tausenden Beispielen und zeigt in der Benutzeroberfläche auch immer an, auf welchen Kriterien das Ergebnis basiert. Der User kann somit auch danach das Ranking noch bearbeiten und Kriterien löschen, hinzufügen oder die Relevanz (erforderlich – optional) ändern.

Wir verarbeiten auf der einen Seite Kandidatenprofile (CVs oder Profile von Sozialen Netzwerken) und auf der anderen Seite Stellenanzeigen oder Jobbeschreibungen. Beide werden analysiert und mit unserer Semantik und Wissen angereichert. Unser Matching sollte in dem Sinn als Vorschlagsinstrument gesehen werden. Wir schließen keine Kandidaten komplett aus, sondern reihen den gesamten Datenbestand nach Relevanz und bilden somit mit einem Klick eine Shortlist. Dabei muss der Erstgereihte nicht der Beste sein, jedoch werden die ersten 10-20 Kandidaten bestimmt gut zum Job passen und der Recruiter übernimmt dann die Endauswahl.

Matching_Blackbox

Was sind denn mal so Erkenntnisse, wo ein lernender Algorithmus mal etwas verblüffendes entdeckt hat, was dann letztlich auch zu einem besseren Recruiting geführt hat?

Es ist ja nicht so, dass der Algorithmus intelligenter ist als ein Mensch, schließlich wird er nur genau das tun, wie er trainiert ist und wird anschließend auch selbst Verbindungen aufbauen. Die Idee ist jedoch, dass bei den Datenbergen, die sich den HR Abteilungen anhäufen, niemand mehr alle Bewerbungen manuell bearbeiten kann. Ein Matching läuft wertefrei und zeigt dem Recruiter Kandidaten an, die die gefragten Skills erfüllen ohne auf ein hübsches Foto oder den Namen zu achten. Natürlich könnte auch jemand mit einer anderen Berufsbezeichnung, der aber viele Kompetenzen erfüllt, angezeigt werden. Zum Beispiel können dadurch Software Engineer mit einigen Jahren an Erfahrung als Projektleiter vorgeschlagen werden.

Vor kurzem hat adidas bekanntgegeben, Runtastic – im Grunde einen Anbieter von Fitness- und Sporttracking-Apps – für bummelige 220 Mio. Euro zu übernehmen. Eine solche Bewertung, so sehen es viele, kann nur gerechtfertigt sein, weil adidas an die vielen Daten ran will, die Runtastic über die Nutzer der Apps hat. Aus dem Riesendatenfundus werden Erkenntnisse gewonnen, die adidas dann nutzt, um neue, besser passende Produkte und Dienstleistungen an die richtigen Kunden zum richtigen Zeitpunkt anbieten zu können. Klingt eigentlich nach Matchmaking… Textkernel ist vor Kurzem mit Careerbuilder zusammen gegangen. Ist die Logik dahinter ähnlich? Ihr seid die Hüter des Datenschatzes oder der Algorithmen, diesen Datenschatz heben zu können und daher seid Ihr entsprechend begehrt?

Zu unseren Kundendaten haben nur die Kunden selbst Zugriff, daran kann es also nicht liegen. CareerBuilder kann also mit den Daten selbst sicherlich nicht arbeiten, außerdem haben die zur Analyse genug Daten aus der eigenen Jobbörse und der Kandidatendatenbank. Trotzdem hat sich ja gezeigt, dass es einige Jahre an Aufwand mit sich bringt eine gute Matchingengine zu entwickeln und es gibt ja weltweit wenige Anbieter, die dies auch im HR Bereich anbieten. Textkernel passte einfach in die langfristige Strategie von CareerBuilder, um deren SaaS Angebot auszuweiten, da es vor allem in den USA viel Nachfrage in diesem Bereich gibt. Wir profitieren vor allem vom Investment und können somit unser R&D voranzutreiben, schneller wachsen und dadurch für mehr neue Produkte und Verbesserungen der aktuellen Tools sorgen.

A propos Datenschatz: Man liest viel (unter anderem ja auch hier im Blog…), dass die Maschinen inzwischen so viel können und das Algorithmen prinzipiell auch in der Lage sind, bessere Auswahlentscheidungen zu treffen. Wenn man sich aber anschaut, was mir das Matchmaking bei XING oder – zumindest mein Eindruck – noch krasser LinkedIn oft so an “passenden” Jobs auswirft, dann kommen einem da schon so Zweifel. Wenn der Rechtsanwalt eine Stelle als Rechtsreferendar angeboten bekommt, dann scheint die Maschine hier oft doch eher noch ein bisschen doof und nicht intelligent zu sein… Eigentlich sollte man doch denken, dass gerade diese Plattformen sowohl die Datenmenge und -qualität sowie das nötige Kleingeld und Know-how haben, daraus auch 1a-Matching zu bauen. Was läuft da (noch) schief

Leider ist es ja nicht ganz zu einfach mal nebenbei ein gutes Matching zu entwickeln. Man gelangt zwar mit Kategorienabgleich und Synonymen auch wohin, jedoch ist dies ist kein “intelligentes” Matching und es wird sich ab einem gewissen Punkt zeigen, dass die Ergebnisse eben doch nicht zu gut sind. Es reicht also nicht Begriffe zu vergleichen, der Computer muss auch wissen, dass die Karrierelaufbahn bis hin zum Rechtsanwalt linear verläuft. Es gibt also Karrierestationen, die man zumeist nur einmal macht und anschließend nie mehr vorgeschlagen bekommen möchte. Dies muss die Maschine aber wissen oder aus gutem User-Feedback lernen.

Du hältst auf der HR-Edge am 10. September nun den Vortrag “Roboter Recruiting – Muss ich mir als Recruiter Sorgen um meinen Job machen?”. Was können die Teilnehmer da erwarten? Müssen sich die Recruiter Sorgen machen?

Nein, zumindest vorerst (noch) nicht :) Es wird sich in diesem Bereich sicherlich noch einiges tun, aber ich finde es auch falsch dies als Gefahr zu sehen. Recruiting ist eine menschliche Aufgabe, trotzdem muss man ja nicht davon abschrecken, sich Hilfe zu holen. Unsere Technologien werden den Recruiter nicht ersetzen, jedoch dafür sorgen, dass administrative Aufgaben, die die Mehrheit sowieso nicht gerne macht, übernommen werden können. Das Matching entscheidet ja auch nicht, welcher der beste Kandidat ist sondern erstellt lediglich automatisch eine Shortlist an Kandidaten, die Endauswahl bleibt beim Recruiter.

Liebe Sandra, ich danke dir ganz herzlich für das Interview und freue mich schon total auf dein Spotlight bei der HR-Edge! Wir sehen uns in zwei Wochen…

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