´Der frühe Vogel kann mich mal!´ 30 Jobs in einem Jahr – eine andere Art der Berufsorientierung. Gastbeitrag von Jannike Stöhr

Letztes Jahr im September ging das Thema ganz schön durch die Presse (u.a. SPIEGEL Online, MDR oder WAZ) – die Geschichte von Jannike Stöhr, die zwar einen sicheren Job als Personalreferentin bei VW hatte, aber damit irgendwie nicht so recht glücklich war und sich daher zu einem spannenden Experiment entschloss:

In einem Jahr 30 Jobs ausprobieren, um so eine Antwort auf die Frage zu finden, welcher eigentlich zu einem passt…

Eigentlich sind wir jetzt mit diesem Thema ja ein bisschen spät dran, denn das Jahr der Berufsorientierung ist ja soooo 2014!

2015 ist ja das Jahr der Kandidaten!? :-) Aber Spaß beiseite, dem ist natürlich nicht so – auch wenn wir die Frage der Orientierung letztes Jahr zum Leitthema ausgerufen hatten, bleibt die Frage natürlich so aktuell wie vorher. Der Arbeitsmarkt verlangt immer mehr, weil die Komplexität der Berufsbilder nun mal nicht geringer wird, die Menschen werden immer jünger, wenn sie eine Entscheidung für ihre berufliche Zukunft treffen müssen und die verfügbaren Informationen sind, naja, ausbaufähig. Damit meine ich nicht deren quantitativen Umfang, sondern deren Matching-Qualität…

Ich sehe im Matching nicht zuletzt deshalb DIE zentrale Herausforderung des HR. Und: Natürlich hat eine Verbesserung der Orientierung – der beruflichen Erstorientierung genauso wie der Umorientierung und des Quereinstiegs – wiederum sehr viel mit der Sicht auf die Kandidaten zu tun. Bauen wir diesen nämlich Brücken und geben ihnen Hilfestellungen, den richtigen Weg zu finden, verbessert sich unweigerlich die Candidate Experience. Und damit geht das 2014er-Thema Berufsorientierung nahtlos in das 2015er-Thema Candidate Experience über…

Doch genug der Vorrede. Es geht um Jannikes Experiment. Sie ist im Juli letzten Jahres mit ihrem ersten Job (“Eine Woche unter entzückenden Schreihälsen“) gestartet und hat damit jetzt wenn man so will Bergfest (Job Nummer 14 war übrigens bei whatchado…). Wir haben das zum Anlass genommen, Jannike mal so etwas wie eine Art Zwischenfazit schreiben zu lassen und hier als Gastbeitrag zu publizieren.

Ich finde es hochspannend, allein schon der Titel… ;-)

Der frühe Vogel kann mich mal!

Sensationell… Wer übrigens den bisherigen Verlauf des Experiments nachverfolgen möchte, dem sei Jannikes Blog dazu wärmstens ans Herz gelegt. Aber nun los.

Jannike, Feuer frei! Deine Bühne…

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Kennt ihr das, wenn euch jemand mitten im Satz unterbricht und auf einen sprachlichen Fehler hinweist? „Du sagst total oft ähm, eben oder halt, ist dir das schon einmal aufgefallen!?“ Ich erinnere mich an einen ehemaligen Kollegen, der immer in Redewendungen sprach. „Der Fisch fängt am Kopf an zu stinken“ war seine liebste Phrase und ich wusste bis zuletzt nicht, ob ich als einziger „Fischkopp“ im Kollegenkreis das persönlich nehmen sollte.

Mich selbst ertappe ich in letzter Zeit immer wieder dabei, dass ich mit „Neulich, als ich bei XY war“ in Gespräche einsteige. Als ich 2012 von einem 18-monatigen Aufenthalt in China wieder nach Deutschland zurückkehrte, lauteten meine Worte ständig „also, in China…“. Einmal sah ich, wie mein Bruder seiner neuen Freundin vielsagende Blicke zuwarf, die bedeuteten „Ich hab doch gesagt, es dauert keine 5 Minuten, bis sie das sagt“. Aber genug davon. Denn um ehrlich zu sein möchte ich euch etwas über meine Berufsorientierung erzählen und suche für mich selbst nach einer Ausrede, um meinen Artikel doch mit „neulich…“ beginnen zu dürfen.

Neulich also, als ich im Rahmen meines Projektes „30 Jobs in einem Jahr“ bei einer Familienaufstellerin war, traf ich in einem Seminar auf einen Karriereberater. Ich erfuhr von ihm, dass ich zur Berufsorientierung und dem Finden des roten Fadens in meinem Leben mit meinen 28 Jahren ganz schön spät dran sei. Ich war geschockt. Hatte ich mich bisher immer für einen frühen Vogel gehalten. Eine, die mit 27 Jahren bereits eine Ausbildung, ein Studium, über 5 Jahre Arbeitserfahrung und davon 1,5 Jahre im Ausland in der Tasche hatte. Die sich von Geld und Anerkennung nicht verleiten ließ und ihre eigenen Ziele von denen anderer unterscheiden konnte.

Okay, zugegeben das war nicht immer so. Unter meinen Interessen in meiner Schulzeit tauchte Berufsfindung nicht auf und auch Schule rangierte eher auf den hinteren Rängen. Mein Pflichtpraktikum verbrachte ich notgedrungen in der Nachhilfeschule, in der ich als Nachhilfelehrerin Latein unterrichtete. Ich hatte mich zu spät gekümmert und keine Alternativen. Das Praktikum dort hatte trotzdem mehrere Vorteile. Zum einen konnte ich ausschlafen, da der Unterricht erst am Nachmittag begann. Zum anderen musste ich meine Unterrichtsstunden nicht absagen und bekam sie auch noch bezahlt. Zwischen den einzelnen Stunden entwarf ich eine Homepage für das Nachhilfeinstitut, schrieb die Texte und schoss ein paar Fotos.

12 Jahre später befinde ich mich also wieder da, wo ich bereits zu Zeiten meines Pflichtpraktikums stand. Ich bastele an einer Homepage, weiß nicht, was ich werden will und stelle meine Füße des Öfteren wieder unter Muttis Küchentisch. Aus diesem Blickwinkel betrachtet bin ich wohl „ganz schön spät dran“. Aber einiges ist heute anders. Und damit meine ich nicht, dass ich gelassen bleibe, wenn ich mal einen Pickel bekomme. Vielmehr weiß ich heute, dass irgendwie im Büro sitzen und mit Menschen zu tun haben für mich nicht reicht, um jeden Morgen frohen Mutes zur Arbeit zu gehen. Dass es noch viel mehr spannende Berufe gibt, als die meiner Eltern und Bekannten, dass man manche Sachen nur durch Ausprobieren feststellen kann und dass Sinn und Selbstverwirklichung wichtige Bestandteile erfüllender Arbeit sind.

Vierzehn verschiedene Berufe habe ich mittlerweile getestet und dabei nicht nur festgestellt, welche Tätigkeiten mir liegen. Mein Ansatz in meinem Projekt ist die Leidenschaft für einen Beruf. Deswegen suche ich gezielt nach Menschen, die lieben, was sie tun. Der Unterschied zwischen Menschen, die arbeiten und Menschen, die lieben was sie tun, wird mir immer deutlicher. Ich möchte zur zweiten Gruppe gehören. Nur wie?

Zuallererst einmal muss ich wissen, was ich kann. Wurden einem offenkundige Talente in die Wiege gelegt, ist mit ein bisschen Mut der rote Faden im Leben schnell klar. Ich war leider nie über die Maße musikalisch oder sportlich. Ich habe gemalt und gezeichnet, aber das Nonplusultra war das auch nicht. Reflektiere ich meine letzten Monate, komme ich aber zu einem Schluss: egal, welchen Job ich getestet habe, es tauchen immer wieder ein und dieselben Themen auf, über die ich Zugang zu der jeweiligen Arbeit bekommen habe. Und dementsprechendes Feedback gab es auch. Meine Theorie: Begibt man sich in unterschiedliche Arbeitsumfelder und zieht die Schnittmenge an positiven Erlebnissen heraus, findet man seine Talente. Oder meines ehemaligen Kollegen zuliebe in einer Redewendung ausgedrückt: Probieren geht über Studieren.

Habe ich meine Talente nun gefunden, gibt es immer noch unzählige Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt. Wie kann ich diese in meiner Traumjobsuche aber weiter komprimieren?

Da ist zum Beispiel die Identifikation mit dem Produkt oder der Dienstleistung. Das Thema ist zwar nicht neu, aber immer stärker kristallisiert sich für mich auch hier ein Unterschied zwischen „etwas echt gut finden“ und „für etwas brennen“ heraus. Brenne ich für etwas, kann ich in der Regel auch den Sinn darin sehen. Auch hier hilft es, sich auszuprobieren. Die Jobs, die ich bisher getestet habe, waren alle auf eine gewisse Weise sinnvoll. Manchmal ging mir dabei das Herz auf, manchmal aber auch nicht. Auch hier kann ich wieder ein Muster erkennen. Mein persönlicher Antrieb liegt ganz konkret in meiner Geschichte und meinen Erfahrungen begründet. Bei vielen Menschen, die ich in der letzten Zeit kennengelernt habe, ist das ähnlich.

Unternehmenswerte, ein weiteres Schlagwort, das an Bedeutung für mich gewonnen hat. Dort, wo die Unternehmenswerte mehr als ein PDF zum Download sind, hat mir die Arbeit besonders viel Freude bereitet. Dort nämlich, wo sie gelebt werden und zwar nicht nur von den Mitarbeitern, sondern auch und gerade von den Führungskräften. Ich wage mich einmal die Hypothese aufzustellen, dass das selten ist.

Unterm Strich geht es bei der Orientierung und der Suche nach einer erfüllenden Arbeit aus meiner Sicht um zwei Punkte: Reflektion und Authentizität. Und das sowohl für Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber.

Neben ein paar Dingen über die Arbeitswelt lerne ich in meinem Projekt aber auch Deutschland besser kennen, Dialekte zuordnen, in die Arme schließen und Abschied nehmen. Was ich bis hierhin erlebt habe, finde ich gleichermaßen kurios wie großartig. In zwei meiner bisherigen Jobs bin ich abgeleckt worden, einmal habe ich mich in einen Trancezustand begeben, in einer Familienaufstellung habe ich den Platz der toten Schwester einer Klientin eingenommen, habe den Kuhstall ausgemistet und Kartoffeln geerntet. Sechzehn weitere Jobs stehen noch auf meiner Liste. Was in jedem einzelnen auf mich zukommen wird, keine Ahnung! Die Realität ist oftmals voller Überraschungen. Und ich freu mich darauf! Wer mit dabei sein möchte: www.30-jobs-in-einem-jahr.de

Gastautorin: Jannike Stöhr

2 Gedanken zu „´Der frühe Vogel kann mich mal!´ 30 Jobs in einem Jahr – eine andere Art der Berufsorientierung. Gastbeitrag von Jannike Stöhr

  1. Hallo Jannike, guter Artikel über das/dein Job-Hobbing. Hab gerade deine noch offenen Jobs durchgesehen, leider kann ich dir da nix anbieten ;-)

    Jeder Mensch nutzt immer wieder seine bestimmten Phrasen, dass kann ich machmal auch nicht ab…

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