Digitales Wettrüsten – verhandeln bald Bots miteinander aus, wer eingestellt wird?

Ich liege krank im Bett – Trommelfellentzündung. Schön Antibiotika schlucken und darauf warten, dass man wieder hören kann… Aber es hat auch sein Gutes; komme ich doch mal dazu, einen Gedanken aufzuschreiben, der mir schon seit geraumer Zeit durch den Kopf spukt und bei dem mich mal die Meinung der HR-Gemeinde interessieren würde.

REAL STEEL

(c) DreamWorks

Worum geht´s? Nun, es wird ja relativ viel geschrieben zu der Frage, ob Roboter bald das Recruiting übernehmen, ob Algorithmen die besseren Personalauswahlentscheidungen treffen oder Big Data (Diagnostik) und Predictive Analytics die klassischen Vorauswahlinstrumente wie etwa das “Lesen eines Lebenslaufs” obsolet machen werden.

Hier glaube ich zwar, dass diese Entwicklung erstens nicht über Nacht passieren und zweitens auch nicht straight verlaufen wird, sondern wirre Abzweigungen nehmen und kurvig sein dürfte. Das Ergebnis aber, egal ob das nun 2020 oder 2030 sein wird, steht für mich relativ fest:

Irgendwann werden die Unternehmen eine ganze Menge an Automatismen einsetzen, um Bewerber zu finden, aktiv zu adressieren, vorzuqualifizieren und letztlich auch zu rekrutieren.

Klar, da kann man jetzt sofort einhaken und alles mögliche einwenden wie “ist das denn valide?”, “wie wirkt dann denn auf den Kandidaten (Candidate Experience etc.)?”, will ich aber hier gar nicht (habe ich an anderen Stellen ausgiebig getan).

Mir geht es nämlich um was anderes. Ich möchte dieser Debatte einen Gedanken hinzufügen, der mir bislang irgendwie noch viel zu unterbelichtet scheint:

Es ist doch relativ einseitig gedacht und naiv anzunehmen, dass nur die Unternehmensseite in diesem Bereich aufrüsten wird. Unternehmen werden selbstverständlich Online-Assessments, Big Data und Matching-Technologien einsetzen, um Kandidaten zu finden und vorzuselektieren.

Aber auch Bewerber werden Plattformen und Tools nutzen, auf denen sie ihre Daten gezielt für sich arbeiten lassen können (man kann das in Ansätzen z.B. bei blicksta erkennen).

Wenn also irgendwann mein digitales Alter Ego* so schlau ist und so viele Dinge über mich weiß, dann weiß es vielleicht auch, welche Berufsbilder zu mir passen, mit welchen Unternehmen ich einen kulturellen Match habe, ob und wann ich ggf. bereit für einen Jobwechsel bin, ob ich mobil bin und wenn ja wohin usw.. Mit diesen Informationen kann mein kleiner Bot dann autonom lostigern, kann nach Jobs suchen, kann automatisiert mit dem Bot “der Gegenseite” erste Matchings durchführen und mir dann am Ende möglicherweise das (fast) fertige Ergebnis auf dem Silbertablett servieren:

“Du hast kommende Woche um 15.30 Uhr einen Hangout-Termin mit Frau Soundso von Unternehmen Diesunddas. Es geht um die Stelle XY, in blablabla für 75000 € Jahresgehalt…”

Man kann in diesem Szenario natürlich an jeder x-beliebigen Stelle einhaken und sagen “bis dahin okay, aber ab hier möchte ich das gern selber entscheiden…”, aber das ist in diesem Szenario ja auch alles möglich. Mir geht es ja vor allem darum zu unterstreichen, dass auch die Kandidatenseite Möglichkeiten haben und nutzen wird, Matching-Technologien, Algorithmen und Big Data einzusetzen, für die eigenen Zwecke.

Meine These/Frage an die Community: Werden wir in gar nicht allzu ferner Zukunft eine Recruiting-Welt erleben, in der Bots einen beträchtlichen Teil des “Zueinanderfindens” von Unternehmen und Mitarbeiter autonom untereinander aushandeln?

Hugh Jackman stieg in Real Steel ja auch nicht mehr selbst in den Ring, er ließ seinen Roboter Atom das Gehaue erledigen. Jackman sammelte nachher nur das Preisgeld ein…

Was denkt Ihr?

*Kleine Anekdote am Rande: Wir haben in einem unserer allerersten Businesspläne (um 1999!) diesen kleinen digitalen Helfer übrigens mal “PILS” getauft, stand für Personal Intelligent Life Supporter…

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Nachtrag, 17.10.2016: Ein Beispiel dafür, wie auch auf der Bewerberseite digitale Helferlein im Recruitingprozess wirken, findet sich hier im Blog von Robindro Ullah.

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Nachtrag, 03.02.2017: Dass ggf. sogar die Kandidatenseite das “Wettrüsten” gewinnen könnte, beschreibt Oliver Erb hier im Personalblogger.

9 Gedanken zu „Digitales Wettrüsten – verhandeln bald Bots miteinander aus, wer eingestellt wird?

  1. Hallo Jo,

    erst Mal: Gute Besserung – und Danke, dass Du trotz der Krankheit die Zeit gefunden hast, auch diese schönen, untermalenden Videos zu suchen und finden.

    Meine Antwort auf Deine Frage: Werden Algorithmen Teile unserer Recruitingaufgabe übernehmen: Ja, sehr viele der Aufgaben. Werden sie das Recruiting ganz übernehmen? Nein. Denn das Gute an der Sache ist: Die Algorithmen besitzen keine eigene Intelligenz und so sind sie in der Qualität von den – fehlbaren – Menschen abhängig, die sie geschrieben haben. Und die Schreiber sind wiederum ITler und keine Personaler, also landen wir im agilen (iterativen) Näherungsverfahren im Einsatz dieser neuen Tools.

    Entscheidend ist also die Kombination zwischen dem Knowhow, dass der Mensch/Recruiter entwickeln wird, diese Tools einzusetzen und zu kombinieren und der Anpassungsfähigkeit der Tools, an das was wir im Recruiting brauchen. Ein Pingpong-Spiel und fast digitaler Kreislauf, der immer wieder durch Weiterentwicklung und Fehler/Fehlerkorrekturen der Beteiligten gespeist werden.

    Deshalb: Recruiter müssen alle lernen, Suchmaschinen zu verstehen und zu steuern, also Suchmaschinen-Algorithmen-Recruiting. Das ist übrigens (sorry, wenn’s von schon wieder von mir kommt) “Sourcing” lernen. Das ist nichts anderes als Suchmaschinen-Recruiting. Mein Reden, Recruiter 4.0 ist Sourcer.

    Übrigens: Wie schade, dass in USA und in UK niemand Euren Businessplan gelesen hat: “Recruiting PILS” wäre viel, viel hübscher als ‘Recruiting Hacks’ gewesen …

    Ein herzlicher Gruß
    Barbara Braehmer

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