Auch DAS gehört zur Berufsorientierung: Berufliche Umorientierung und Quereinstieg. Interview mit der Fachautorin Sylvia Knecht

Anfang Januar habe ich hier im Blog zur ´Blogparade Berufsorientierung´ aufgerufen und ich muss sagen, ich war ob der unglaublich positiven und umfangreichen Resonanz überrascht und auch aufgrund der Vielfalt und inhaltlichen Qualität der Beitrage sehr erfreut.

Bis gestern hatten wir 25 Beiträge in der Blogparade!!!

Da aber Berufsorientierung nicht nur ´berufliche Erstorientierung´ umfasst, also die Frage “was will ich denn mal werden?”, sondern selbstverständlich auch die berufliche Umorientierung habe ich mich in letzter Zeit mal ein wenig umgesehen und geschaut, was es denn dazu schon so gibt.

Auf der Plattform Springerprofessional, dem Informationsportal des Springer-Gabler Verlags, in dem wir ja vor kurzem auch unser eigenes Buch veröffentlicht haben, stolperte ich über den Beitrag “Wie Berufswechsler den Fachkräftemangel lindern können” von Dr. Sylvia Knecht.

Erfolgfsfaktor_Quereinsteiger

Das passte! Sylvia ist die Autorin des Buchs “Erfolgsfaktor Quereinsteiger” und Inhaberin des Beratungsunternehmens Linch-Pin. Ich habe mir Sylvia daraufhin dann gleich zum Interview geschnappt, um quasi “Beitrag Nr. 26” der Blogparade direkt vor Ort, sprich im Recrutainment Blog zu veröffentlichen.

Sylvia_Krecht

Also, Sylvia, los geht´s!…

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Liebe Sylvia, ich habe 2014 unter das Motto “Berufsorientierung” gestellt, weil ich finde, dass hier noch unheimlich viel im Argen liegt. Viele denken bei Berufsorientierung immer automatisch an die berufliche Erstorientierung, sprich die Suche nach dem richtigen Ausbildungsberuf oder -betrieb oder dem passenden Studiengang. Du beleuchtest in deiner Forschung – nachzulesen in deinem Buch “Erfolgsfaktor Quereinsteiger” – einen ganz anderen Aspekt der “beruflichen Orientierung”, nämlich den der Umorientierung, den Aspekt “Quereinstieg”. Was liegt hier im Argen oder anders: Warum können Quereinsteiger helfen, den Fachkräftemangel zu lindern?

Nun, zunächst einmal sprechen wir von rund 1,2 Mio. Berufstätigen jährlich, die dem Markt tatsächlich zur Verfügung stehen können. Und in vielen Fällen einfach nicht abgerufen werden. Es handelt sich also schon rein zahlenmäßig um eine ernst zu nehmende Gruppe, die bis dato aber überhaupt nicht in den Fokus genommen wurde. Auch in den zahlreichen Förderprogrammen zur Bekämpfung des Fachkräftemangels wird die Zielgruppe der Quereinsteiger bisher überhaupt nicht berücksichtigt.

Viel relevanter als der numerische Aspekt ist meines Erachtens aber, dass wir hier sehenden Auges echtes Wissen brachliegen lassen und nicht abrufen. Und zwar in der Kombination mit einer echten Querdenker-Mentalität. Und erst diese Kombination bringt innovatives Gedankengut hervor, das die Unternehmen weiterbringt. Das spart dann letztendlich wieder Kosten z.B. in der Organisationsstruktur. Wenn man konsequent denkt, könnte man hier viel an Consulting- Kosten sparen, nur weil man sich auf anderes Denken einlässt.

Deutsche Unternehmen sind stolz auf ihre Unternehmenskultur. Schön wäre, wenn sie diese endlich auch einmal zu experimentellen Ansätzen in der Personalbesetzung nutzen würden.

Fazit:

Das Gejammer der Personaler, es gäbe keine Fachkräfte, ist für mich auch oft – und hier nehme ich klar die sogenannten Engpass- Branchen aus – ein ‚Verschiebebahnhof‘ in Sachen Verantwortung und Kümmern. Denn es ist viel einfacher, in alten Muster weiterzugehen als sich für Experimente rechtfertigen zu müssen.

Du sprichst in Deinem Buch vom “Märchen vom Fachkräftemangel”. Ich musste spontan sehr an das Buch “Mythos Fachkräftemangel” von Martin Gaedt denken, in dem er den Unternehmen mächtig die Leviten liest, dass sie doch bitte nicht immer über den “vom Himmel gefallenen Fachkräftemangel” jammern sollen, sondern gefälligst ihren Teil dazu tun mögen, diesem zu begegnen, zum Beispiel über entsprechende Angebote. Was wären denn aus Deiner Sicht entsprechende Angebote im Kontext “Quereinstieg”?

Ich habe im Buch die These aufgestellt, dass in jedem Unternehmen die Möglichkeit besteht, Quereinsteiger einzustellen. Vor allen Dingen dann, wenn man bereit ist, etwas zu tun wie z.B. seine internen Bewerbungs-Prozesse entsprechend anzupassen.

Bis dato hat sich noch kein Unternehmen gemeldet, das diese These widerlegen konnte. Es haben sich aber auch noch nicht reihenweise Personaler gemeldet, die umgekehrt nachgewiesen haben, dass sie Rekrutierungsmaßnahmen auf die Zielgruppe angepasst hätten. Denn das ist der eigentliche ‚Arbeitssteil‘, der erforderlich ist. Das klassische Einstellungsverfahren passt hier nicht.

Und in den Gesprächen mit Quereinsteigern ist mir – ähnlich wie Gaedt es auch beschreibt – immer wieder bestätigt worden, dass sie als Bewerber in den Unternehmen überhaupt nicht wertschätzend behandelt wurden.

Erst wenn man einen Vermittler – z.B. über die Bundesagentur oder Headhunter – dazwischen schaltet, kommt Bewegung in die Sache. Denn dann ist ja jemand anderes schuld, wenn es schief geht.

Die Unternehmen müssen lernen, wieder selbst Verantwortung in diesem Bereich zu übernehmen, indem sie sich von ihrem Arbeitsalltag lösen, der sich über Jahrzehnte in den Personalabteilungen eingeschlichen hat. Im Buch finden sich zahlreiche Ansätze, wie man vom linearen Verfahren wegkommt.

Wer ist denn Deiner Meinung nach hier besonders gefordert? Unternehmen, Verbände, Gewerkschaften, Kammern, Berufsberater, oder etwa die Bundesagentur? Und was kann bzw. sollten diese deiner Meinung nach verbessern?

Es geht ja im Grunde genommen darum, das gesamtgesellschaftliche Denken in diesem Punkt aufzulösen. Deshalb könnte man es sich einfach machen und sagen: Eigentlich sind alle gefordert.

Da es aber darum geht, Quereinsteiger in Unternehmen zu positionieren und ihnen Chancen zu geben, sind zunächst einmal die Unternehmen selbst an der Reihe. Erst wenn sie signalisieren, dass sie sich des Themas annehmen wollen, können Partner unterstützen. Ein Gewerkschaftsvertreter kann dann – genauso wie die Bundesagentur – in der Prozessgestaltung helfen: Was gilt es zu beachten? Was muss dem Unternehmen an Hilfestellungen gegeben werden, wie sind berufliche Arbeitsvoraussetzungen ggf. anzupassen, und so weiter. Hier in den jeweiligen Branchen oder Themenbereichen kleine, schnelle Task Forces zu bilden, bringt am Ende deutlich mehr als große runde Tische, an denen sich alle versammeln und danach getröstet nach Hause zu gehen um –nichts zu tun.

Viele verfahren ja (leider) immer nach der Devise “Problem erkannt – Sonntagsrede gehalten – wieder hinlegen und weiterschlafen”. Oder gibt es nach deiner Kenntnis schon Positivbeispiele, die hier tatsächlich schon etwas in die Richtung auf den Weg gebracht haben? Ich kann da außer dem einen oder anderen zarten Pflänzchen – wie etwa dem Auftritt der norddeutschen Drogeriekette Budni – noch nicht so viel erkennen…

Wer sich einmal die Mühe macht, und eine simple Google-Abfrage zum Titel: ‚Arbeitskreis Fachkräftemangel‘ eingibt, bekommt 379.000 Ergebnisse. In der Tat wird viel geredet, wenig gesagt und viele schlechte Kekse dazu gegessen. Das Ergebnis ist im Bereich Quereinsteiger gleich null. Oder anders gesagt: Sie finden gar nicht statt.

Das muss man sich mal vorstellen, dass sich in Deutschland fast täglich hochdotierte Manager aus Personalabteilungen stundenlang treffen, um darüber zu diskutieren, wie man ein gesamtgesellschaftliches Problem gelöst bekommt und eine komplette Bewerbergruppe dabei völlig außer Acht lassen.

Auf der anderen Seite sind tatsächlich gute Beispiele zu finden wie JOPP (Join our practice Program), ein Programm der Lufthansa, das speziell darauf ausgelegt ist, Absolventen aus fachfremden Berufen, wie Geistes-, Natur- und Sozialwissenschaftlern attraktive Einstiegsmöglichkeiten zu bieten. Bei Audi heißt das Programm “First Job Experience”. Und auch die Bundesagentur für Arbeit stellt in den eigenen Reihen viele Quereinsteiger ein, was für die Vermittlung Sinn macht, wenn Branchenkenntnisse dem Vermittler helfen, Bewerber richtig einzuschätzen.

Der Mittelstand ist – selbst in Branchen wie IT – hier leider relativ zurückhaltend. Was völlig unverständlich ist. Denn wie wir alle aus unseren persönlichen Beziehungen wissen, ist das Einlassen auf Unbekanntes viel spannender als in bekannten Wegen weiterzulaufen.

Sylvia, ich danke dir für das spannende Interview. Ich freue mich, dass wir dich im September auf der Recruiting2015 mit einem Vortrag zu diesem Thema sehen werden, aber dazu dann an anderer Stelle mehr…

2 Gedanken zu „Auch DAS gehört zur Berufsorientierung: Berufliche Umorientierung und Quereinstieg. Interview mit der Fachautorin Sylvia Knecht

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