Videointerviews in der Personalauswahl – ein Selbstversuch mit der viasto interview suite

Jetzt hat es doch länger gedauert… Vor knapp fünf Wochen hat Johanna Bäumer von Viasto in einem Gastbeitrag hier im Blog die viasto interview suite vorgestellt – eine webbasierte Lösung zur Durchführung von zeitversetzten Videointerviews in der Personalauswahl. Ich hatte seinerzeit versprochen, einen persönlichen Erfahrungsbericht nachzuschieben. Nun, in den letzten Wochen war soviel los, dass ich mit dem bloggen einfach fast gar nicht hinterhergekommen bin, allein im März sind bislang schon zehn Artikel erschienen. Doch aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben, also komme ich meinem Versprechen hiermit nach.

Videointerviews. Ich halte diese wie gesagt sinnlogisch für die nächste Evolutionsstufe des eRecruitings, weil darüber über das Internet ein weiterer Bereich vorauswahlrelevanter Bewerbermerkmale besser ausgeleuchtet werden kann. Von daher prophezeihe ich dem Einsatz von Videointerviews über das Web eine ähnliche Entwicklung wie wir sie (am eigenen Leib…) bei Online-Testverfahren (“eAssessment”) über die letzten Jahre beobachten konnten.

Ganz soweit sind wir zwar noch nicht – außer OTTO ist mir kein Unternehmen bekannt, welches Videointerviews schon systematisch und vollumfänglich in die eigenen Recruitingprozesse eingebaut hat – aber ich denke, dass auch hier die gemachten und berichteten Erfahrungen der Pioniere dazu führen werden, dass sich das Thema auf breiterer Front durchsetzt.

Ich habe mich deshalb mal im Selbstversuch mit der viasto interview suite auseinandergesetzt. Hierbei habe ich in Personalunion einmal beide Perspektiven eingenommen. Die des rekrutierenden Unternehmens und die des Bewerbers:

Zunächst zur Bewerberperspektive. Ausgangssituation: Die Firma CYQUEST hat eine Vertriebsposition ausgeschrieben, der Kandidat Diercks hat sich beworben, die Bewerbung ist grundsätzlich in Betracht gezogen worden, sodass CYQUEST den Bewerber Diercks nun zu einem Videointerview eingeladen hat. Dieser folgt der Einladung und kommt auf eine persönliche Begrüßungsseite.

An dieser Stelle gibt es neben ein paar warmen Begrüßungsworten auch eine kurze Einführung, was einen als Kandidaten nun erwartet. Auch ganz schön: Zur Einstimmung kann hier ein Employer Branding Video des Unternehmens hinterlegt werden. Das kann aber natürlich eine persönliche Grußbotschaft des Unternehmens sein.

Um mir als Kandidat ein “Gesicht” zu geben, kann ich nun ein Foto von mir hochladen oder alternativ gleich mit der Webcam einen Schnappschuß von mir erstellen. Das ist insofern ganz schön, weil ich gleich sehen kann, ob  meine Webcam überhaupt Bilder produziert (was natürlich für die Durchführung von Videointerviews nicht soo schlecht ist…).

Konsequenterweise schließt sich darum auch nochmal ein richtiger Kameracheck an. In meinem Fall hat das Bild doch arg zu wünschen gelassen und große Artefakte produziert. Das ist wie mir viasto versichert hat zwar die absolute Ausnahme (was ich auch glaube – ich führe es eher darauf zurück, dass mir wg. eines parallel laufenden Backup- und Upload-Prozesses einfach Bandbreite gefehlt hat), aber natürlich eine Achillesferse von Videointerviews an sich, schließlich kann eine hinreichende Hardwareausstattung und Internetanbindung eines echten Kandidaten natürlich auch nicht per se als gegeben angenommen werden. Allen Skeptikern, die an dieser Stelle einhaken und wieder mal dazu neigen zu sagen “Siehst du, dann kann es ja nichts taugen”, sei allerdings durchaus empfohlen, sich erstmal bei den Kollegen von OTTO nach den gemachten Erfahrungen zu erkundigen… Wie wir aus dem Bereich Online-Assessment wissen, sind technische Hürden a) eine absolute Ausnahme und b) ein sich zudem im Zeitverlauf von allein reduzierendes Problem. Und durch den vorherigen Kameratest kann ich als Kandidat ja auch vor dem eigentlichen Interview feststellen, ob alles funktioniert oder nicht. Zu diesem Zeitpunkt ist ihm ja noch absolut kein Nachteil entstanden.

Nach dem Kameratest geht es dann los. Ich bekomme die erste Frage des Videointerviews zu sehen. Wichtig: Diese Fragen sind vorab durch das Unternehmen eingestellt. D.h. es handelt sich nicht um ein Live-Interview, sondern ein zeitversetztes Interview. Das ist zum einen gut für das Unternehmen, weil kein Interviewer am anderen Ende der Leitung sitzen muss, beliebig viele Interviews parallel durchgeführt werden können und – das findet insbesondere der Diagnostiker natürlich gut – per Definition ein standardisiertes (weil für jeden Kandidaten gleiches) Interview durchgeführt wird. Das ist aber auch für den Kandidaten gut, weil er selbst entscheiden kann, wann und unter welchen Umständen er das Interview durchführen möchte. Insb. diese “Selbstbestimmtheit” ist – wie wir ebenfalls aus dem Bereich der Online-Testdurchführung wissen – extrem akzeptanzsteigernd.

Es gibt eine kurze Vorbereitungsphase auf die Frage und einen festen Zeitrahmen, in dem die Frage dann zu beantworten ist. Hat man das alles verstanden, drückt man auf Antwort starten und spricht vor “laufender” Kamera seine Antwort.

Zugegeben: Das ist etwas ungewohnt und definitiv nicht mit einem Live-Interview (auch nicht über das Telefon) vergleichbar, aber das gleiche galt bis vor ein paar Jahren auch für Online-Tests, die aufgrund ihrer Durchführung vor dem eigenen Rechner auch nicht 1:1 mit unter Beobachtung durchgeführten Pen&Paper Tests vergleichbar waren. Aber es sagt ja auch keiner, dass diese Form standardisierter, zeitversetzter Videointerviews, Live-Interviews (ob nun über Skype, übers Telefon oder von Angesicht zu Angesicht) ersetzen sollen. Es geht vielmehr darum, dass hierdurch auf ökonomische Weise von einer größeren Anzahl von Kandidaten Beobachtungseindrücke gesammelt werden können als dies ohne möglich wäre. Für Bewerber jedenfalls stellen solche Instrumente erfahrungsgemäß eine viel niedrigere Hürde dar, als man als Personaler oft befürchtet.

Nachdem man dann die fünf Fragen des Katalogs in Videoform beantwortet hat, ist man als Kandidat erstmal fertig, bekommt eine E-Mail und das Unternehmen ist am Zug.

Also: Perspektivenwechsel. Ab jetzt aus Recruitersicht.

Im Administrationsbackend kann ich als Recruiter diejenigen Kandidaten, die das Interview schon durchgeführt haben, sehen und aufrufen.

Ich kann mir dann die Videoantworten auf die Fragen (beliebig häufig) ansehen und einzeln bewerten. Für die Bewertung stehen mir sowohl ein Punktwert (1 bis 5 Sterne) sowie ein Textfeld zur Verfügung. Die Videointerviewes können dann auch an weitere Personen zur Begutachtung und Bewertung weitergeleitet werden (z.B. leitet der Recruiter die Videostatements nochmal an die Fachabteilung weiter, um deren Einschätzung einzuholen). Die Bewertung(en) zu den einzelnen Videosstatements können ferner in einer Gesamtübersicht eingesehen werden.

Insb. diese (rechtssichere) Archivierung der Videos unterscheidet den Einsatz einer zwar webbasierten aber im Kern “unternehmenseigenen” Lösung wie viasto schon vom Einsatz “freier” Tools wie Skype etc. Es gibt zwar natürlich auch Recordingtools für Skype aber es stellt sich neben Fragen der technischen und prozessualen Einbindung hier unter Umständen auch ein Datenschutzproblem – immerhin werden personenbezogene Bewerberdaten übermittelt.

Fazit: Videointerviews machen Sinn und werden sicherlich auf breiterer Fläche kommen. Im Moment ist das Thema noch eher exotisch und es gibt auch noch nicht allzuviele belastbare Erfahrungswerte dazu. Es sind auch noch weitere technische Schritte zu gehen, worunter mir insb. die Frage der (technischen) Anbindung an Bewerbermanagement-Systeme einfällt. Aber die ersten Schritte sind nicht mehr zu übersehen.

2 Gedanken zu „Videointerviews in der Personalauswahl – ein Selbstversuch mit der viasto interview suite

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