Online-Assessment in der Personalauswahl – Interview Teil 2

Gestern haben wir hier den ersten Teil des Interviews zum Thema “eAssessment in der Personalauswahl” aus der XING Gruppe Personalmanagement und Führung der DGFP wieder gegeben, das Wolfgang Brickwedde mit Kristof Kupka und mir geführt hat. Heute folgt Teil 2…

Wolfgang Brickwedde: Was sind die Vorteile von eAssessments für Bewerber?

Joachim Diercks: Wichtige Frage! Uns werden in nahezu allen eAssessment Projekten Bedenken geäußert wie: “Schrecken wir durch den Einsatz von Online-Tests nicht unsere Bewerber ab? Verlieren wir nicht insb. die “Guten” dadurch, weil die das nicht nötig haben?” Hierbei schwingt immer mit, dass die Forschung Leistungstests traditionell immer eine eher geringere Akzeptanz attestierte. Doch diese Erkenntnisse sind nicht mehr 1:1 auf eAssessments übertragbar. Warum ist das so? Weil eAssessments eben auch und gerade dem Kandidaten enorme Vorteile bieten:

1) Die Tests können durchgeführt werden, WANN der Kandidat möchte: Innerhalb eines vorgegebenen Zeitraums (z.B. 14 Tage) kann der Kandidat den Online-Test zu einem selbstgewählten Zeitpunkt bearbeiten. Nachtarbeiter machen es nachts, frühe Vögel am Morgen usw. Die Kandidaten sind nicht auf einen vom Unternehmen vorgegebenen Termin (”kommen Sie Montag um 9.15 Uhr in die XY-Strasse und melden sich am Empfang”) angewiesen.

2) Die Tests können im EIGENEN, STRESSFREIEN UMFELD durchgeführt werden: Wenn es dem Kandidaten besser gefällt und er es als weniger stressig empfindet, kann er den Test im Schlafanzug auf dem Bett sitzend absolvieren. Wenn während der Testbearbeitung auf einmal der kleine Bruder durchs Zimmer tobt, kann der Test unterbrochen werden und zu einem späteren Zeitpunkt, wenn es wieder ruhiger ist, an der gleichen Stelle fortgesetzt werden (zumindest bei CYQUEST Tests…). Die Gestaltung des Umfelds liegt völlig beim Kandidaten und kann den individuellen Vorlieben angepasst werden.

3) Die Tests sind per Definition „objektiv“, d.h. es gibt KEINEN „NASENFAKTOR“ bei der Beurteilung: Jede Personalbeurteilung durch Menschen unterliegt subjektiven Einflüssen (gefällt das Foto? Wie tritt der Kandidat auf? usw.). eAssessment kennt diese Subjektivität nicht. Das Verfahren misst für alle Kandidaten absolut gleich und unbestechlich. Ein “social bias”, nachdem etwa Recruiter lieber Kandidaten nehmen, mit denen sie sich sozial verbundener fühlen, kann es hier nicht geben. Die Gefahr einer systematischen Benachteiligung von Kandidaten aus schwierigen sozialen Umfeldern ist beim eAssessment ausgeschlossen. Natürlich müssen die Tests dafür nach wissenschaftlichen Kriterien entwickelt und evaluiert sein und nicht nur „einfach nach Augenschein“.

4) Sehr NIEDRIGER AUFWAND für den Kandidaten (Reise-, Zeitaufwand etc.): Insb. wenn Kandidaten in der Bewerbungsphase noch stark in andere Tätigkeiten eingebunden sind (z.B. Führungsnachwuchs-Kandidaten, die noch ihre Thesis beenden müssen etc.), ist es enorm wertvoll, nicht für einen Vorauswahlschritt einen ganzen Tag quer durch die Republik reisen zu müssen. Wir haben einige Kunden, die das eAssessment über große geografische Räume hinweg einsetzen (Russland, Brasilien etc.). Hier wäre die Anreise für den Kandidaten oft mit erheblichem Aufwand verbunden.

Wenn die eAssessments zudem nicht als reine „Aneinanderreihung von Testformularen“ daherkommen, sondern – wie bei uns eigentlich immer – ansprechend gestaltet sind UND parallel zur Testung auch informative oder unterhaltsame Elemente umfassen, also nach Recrutainment-Gesichtspunkten gestaltet sind, dann dienen diese durchaus dazu, dass sich der Kandidat mehr unter dem Unternehmen vorstellen kann.

Wolfgang Brickwedde: Was sind die Grenzen von eAssessments?

Kristof Kupka: Ganz klar, eAssessments sind ein Instrument der Vorauswahl und dienen der sog. “Negativselektion”. eAssessments stellen keine Personen ein und ersetzen auch nicht den Recruiter oder die Recruiterin! Die vorrangige Zielsetzung von eAssessments ist es, diejenigen Kandidaten möglichst frühzeitig und möglichst treffsicher zu identifizieren, die es “nicht sind”, d.h. die im weiteren Prozess der Auswahl ohnehin mit großer Wahrscheinlichkeit scheitern würden. Die Identifikation dieser Kandidaten kann unter Zuhilfenahme von Online-Tests deutlich früher und treffsicherer als früher vorgenommen werden, weil dazu eben mehr Entscheidungskriterien zur Verfügung stehen. Während ich früher z.B. bei der Azubi-Vorauswahl oft nur Schulnoten als erstes Kriterium der Auswahl heranziehen konnte, kann ich nun zusätzlich noch Informationen etwa zum analytischen Denken oder zur Problemlösekompetenz mit einfließen lassen.

Der Anteil potenziell geeigneter Kandidaten („Basisrate“ oder „Grundquote“ genannt) wird damit erhöht, was den zeitlichen und personellen Aufwand in den nachfolgenden Auswahlentscheidungen, die dann zumeist im Rahmen von Mensch-Mensch-Auswahlschritten (also z.B. Telefon- und Einzelinterviews oder Präsenz-Assessmentcenter) getroffen werden, deutlich senkt.

Die “Positivauswahl”, also die Entscheidung darüber wer genommen wird, treffen aber selbstverständlich weiterhin Menschen, und zwar in “Mensch-Mensch-Auswahlverfahren”. Hierbei fließen oft ganz andere Kriterien in die Entscheidung ein, die eher der “Passung” als der “grundsätzlichen Eignung” zuzurechnen sind. Im Idealfall sieht der Recruiter am Schluss nur noch gute Kandidaten, weil die nicht so guten bereits ausgeschieden sind, und kann sich voll darauf konzentrieren, daraus die bestpassenden auszusuchen.

Dritter und letzter Teil des Interviews

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